Savoy 01 - Aufbruch einer Familie by Wahl Maxim

Savoy 01 - Aufbruch einer Familie by Wahl Maxim

Autor:Wahl, Maxim [Wahl, Maxim]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau
veröffentlicht: 2019-07-10T22:00:00+00:00


16

Die Initialen

Ein Kurzschluss legte die ganze vierte Etage lahm. Nachdem John den verschmorten Kabelsalat im Sicherungskasten inspiziert hatte, rekrutierte er zwei Laufburschen, die ihm helfen sollten, neue Kabelstränge zu ziehen. Die eigentliche Reparatur würde Wochen dauern, daher musste man sich damit abfinden, dass die Behelfskabel wie schwarze Schlangen durch die Korridore krochen. Mr Sykes eilte von Zimmer zu Zimmer, um den Gästen sein Bedauern auszudrücken und rasche Behebung des Schadens zu versprechen.

Violet bewohnte nicht die Direktionssuite ihres Großvaters. Tagsüber hielt Henry dort seine Bürostunden ab, abends wurde die Suite verschlossen. Auf das Bett unter der Glaskuppel und den Teppich mit dem Ananasmuster fiel nachts kein anderes Licht als das des Mondes. Violet wohnte auch nicht in ihrem Apartment in Pimlico. Seit das Savoy ihr Leben vereinnahmt hatte, war sie abends so müde, dass sie es selten schaffte, das Hotel zu verlassen. Spätnachts lief sie in die fünfte Etage und legte sich zu John. Manchmal kam er noch später als sie, die Probleme mit dem Hausstrom wollten nicht abreißen. Violet hatte aufgehört, sich Gedanken über das Entweder-Oder ihres Lebens zu machen, entweder ihre Freiheit als Autorin oder die Knechtschaft des Savoy, entweder Max oder John. Sie akzeptierte ihre Gegenwart, die Zukunft war noch nicht in Sicht. Jene Zukunft aber, die das Testament ihres Großvaters vorschrieb, verdrängte sie aus ihrem Bewusstsein.

Die Räder des Savoy drehten sich diskret, elegant und kostspielig weiter. Überraschend kurzfristig seit ihrem letzten Besuch bezog Lady Edith, die Herzogin von Londonderry, wieder ihre Suite. Bald darauf erhielt sie den Besuch des Premierministers. Ramsey MacDonald blieb vier volle Stunden, die Times widmete dieser Tatsache eine Notiz. Die Hitzewelle war abgeklungen. Dem Kalender nach herrschte Hochsommer, doch das mutwillige Londoner Wetter brachte Regen und Gewitterstürme.

Arturo Benedetti ereilte ein Arbeitsunfall. Als er das Orchesterpodest schwungvoll erklimmen wollte, rutschte er in einer Champagnerlache aus und brach sich den Arm. Sein Assistent, der Geiger mit der Franz-Liszt-Frisur, hoffte, den Maestro ersetzen zu können, doch er täuschte sich. Von nun an galt es als beliebte Pittoreske im Tanzsaal, wenn Benedetti mit Gips dirigierte. Selbst mit dem elefantös vergrößerten Arm ließ er es weder an Temperament noch Präzision fehlen.

Die Französin war abgereist. Otto vermisste nicht so sehr die leidenschaftlichen Stunden mit ihr, ihm fehlte die Herablassung dieser Frau, ihre Strenge. Die gelegentlichen Erregungen, die er mit den Zimmermädchen erlebt hatte, bedeuteten ihm nichts mehr, seit die Frau, deren Namen er nicht einmal kannte, ihn beherrscht hatte. Er wollte ihr Diener sein und befolgte ihre Befehle gewissenhaft.

Otto, der Deutsche, erforschte die Bewegungen deutscher Gäste im Savoy, deren Zahl von Monat zu Monat zunahm. Für solche Nachforschungen nutzte er die Überraschung seiner Landsleute, wenn sie im Fahrstuhl in ihrer Muttersprache angesprochen wurden. Er unterschied deutsche Geschäftsreisende von Vergnügungsreisenden, Künstler von Staatsbeamten, die im Namen der schwankenden deutschen Regierung nach London kamen. Otto war wichtigen Persönlichkeiten ebenso auf der Spur, wie scheinbar unbedeutenden. Er hatte den Auftrag, zwischen jüdischen und nicht jüdischen Gästen zu unterscheiden, er notierte, wohin ein Jude ein Taxi bestellte, hielt fest, wenn ein hochrangiger Deutscher



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.